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Lean
On Me * von Philippe Van Cauteren Wer kennt
nicht das PHOTO VON Pablo Picasso, auf dem er mit gespreizten Beinen
und gekreuzten Armen in seinem Atelier vor reiner seiner Malerinnen
steht. An diesem Photo interessiert mich nicht der Künstlermythos
Pablo Picasso, sondern die Art und Weise, wie er seine Malereien nicht
hängt, sondern einfach an die Wand lehnt und auf den Boden stellt.
Schaut man sich mehrere Photos von Künstlerateliers des 19. und
20. Jahrhunderts an, dann könnte das Lehnen zum Studienobjekt werden.
Lehnen ist eigentlich ein Zustand oder eine Handlung, die kulturell
und menschlich ist. Nur der Mensch lehnt sich an etwas oder lässt
Objekte lehnen. Lehnen ist eine Pose, eine Haltung, die eine bestimmte
Affekte wie zum Beispiel Männlichkeit, Selbstsicherheit und Kraft
inkorporiert.
Auch in der Bildanalyse von Hollywoodfilmen würde das Lehnen überraschende
Ergebnisse enthalten.
Ist es Zufall, dass eher männliche Filmikonen wie James Dean, Humphrey
Bogart oder Brad Pitt lehnen und nicht Gina Lollobrigida, Catherine
Zeta-Jones oder Isabelle Huppert? Wenn Schauspielerinnen in Filmen wirklich
lehne, spielen sie oft androgyne Rollen oder eine Mutter als Kern einer
Familie. Auch in der Kunst gibt es viele Beispiele. Mit „Accretion“
(1968, Kroeller-Müller Museum, Otterlo, Niederlande)lässt
die Künstlerin Eva Hesse (1936-1970) 50 Fiberglasröhren in
einer lockren Reihe an der Wand lehnen. John McCracken (*1934) baut
oft monochrom angemalte Objekte wie zum Beispiel „Painted Planks“
(1986), die durch das Lehnen ihre Ambivalenz zwischen Malerei, Skulptur
und Objekt erreichen. Mark Manders hat in einem Supermarkt fünf
Porreestangen und fünf Bohnen gegen einen Tiefkühlschrank
lehnen lassen. Und der früh gestorbene Künstler André
Cadéré (1934-1978) hat seine polychrome Holzstäbe
(„Barres de Bois“) jedes mal gegen eine Wand lehnen lassen.
Dieses kurze thematische Verweilen bei der Geste des Lehnens wäre
ohne Sinn, wenn ich es nicht in Verbindung zu der Arbeit „...es
war Tom Sawyer“ von Christel Fetzer brächte. Durch das Lehnen
mehrerer Holzplanken mit verschiedenen Längen, unterschiedlichen
Formen, Texturen, Farben und Qualitäten lässt die Künstlerin
eine ehemalige Seilspannanlage verschwinden. Fetzer lässt Holz
lehnen. Die Arbeit liest sich wie eine 24 Meter lange polychrome Partitur.
Die Farben werden zu Tönen der Installation, die unterschiedlichen
Dimensionen wirken als serielle Rhythmisierung. Das Lehnen verspricht
uns eine Ambiguität. Ist es eine Skulptur, die zur Malerei wird?
Oder ist es eine Malerei, die sich als Installation bezeichnen lässt?
Das Einzige was man mit Sicherheit sagen kann ist, dass sich verschiedene
Holzformen natürlich an einen Betonkörper lehnen. Und dies
mit einer formalen Klarheit, als wäre es die Künstlerin selbst,
die sich an die Seilspannanlage lehnt.
Martin von Ringenleben. Nürnberg, Oktober 2003
* Lean On Me: Titel eines Songs des amerikanischen Songwriters Bill
Withers (1938, Slab Fork, west Virginia, USA), 1972. Bekannt durch ausgezeichnete
Lieder wie „Ain´t no sunshine when she´s gone“
und „Just the two of us“.
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